Ach, der Deutsche Ethikrat – diese verehrte Institution, die uns nicht nur in den dunklen Zeiten der Corona-Pandemie mit erleuchtenden und stets objektiven Ratschlägen beglückte. Was könnte besser sein als eine Gruppe von klugen Köpfen, die uns vor der moralischen Zerrissenheit bewahrt, die uns z.B. die Epidemie bescherte? Oder, um es höflicher auszudrücken: Was könnte weniger besser sein, als ein Haufen hochdotierter Experten, die nach einem gemeinsamen Schulterschluss mit der Regierung eine ethische Monstranz über die Gesellschaft halten, um die „wahren Werte“ zu verteidigen und in Wahrheit doch nur die Wasserträger und Erfüllungsgehilfen der Regierenden sind.

Man muss kein Zyniker sein, um zu bemerken, dass der Ethikrat während der Pandemie in einer der entscheidendsten Fragen des 21. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Schwenk zur praktischen Ethik vollzogen hat. Früher gab es noch die Vorstellung, dass die Ethik als unabhängige Instanz den politischen Entscheidungsprozess kritisch begleiten sollte. Sie sollten uns also nicht nur dabei helfen, den moralischen Kompass zu finden, sondern auch, die schwierigen Fragen zu stellen. Fragen wie: Ist es richtig, die Freiheit von Millionen von Bürgern über Monate hinweg zu beschneiden? Darf man in einer Demokratie tatsächlich so weit gehen, nur um die Unantastbarkeit von Leben zu betonen? Und vor allem: Was ist mit den „anderen“ Werten, die auf der Waage liegen – wie die psychische Gesundheit, die soziale Gerechtigkeit, Persönlichkeitsrechte oder vielleicht sogar das Wohl und die Freiheit der Demokratie selbst?

Der Ethikrat jedenfalls begnügte sich nicht damit, diese Fragen zu stellen. Stattdessen erhielten wir von ihm in regelmäßigen Abständen die Leitplanken der vermeintlichen Moral – natürlich immer im Einklang mit den Maßnahmen der Regierung. Wenn Lockdowns und Maskenpflichten als ethisch unabdingbar bezeichnet wurden, dann klangen diese Aussagen immer wie das Echo einer Regierung, die bereits ihre Antwort wusste, bevor sie überhaupt die Fragen stellte. Wie jetzt die Corona-Protokolle zeigen, ist der Ethikrat willfähriger Handlanger der Regierungspolitik gewesen, statt ein kritisches Korrektiv zu sein.

Dann kam die Impfpflicht – und der Ethikrat setzte noch einen drauf. Ah, was für eine Gelegenheit, sich moralisch in den Vordergrund zu stellen! Anstatt sich zu fragen, ob der Staat das Recht hat, seinen Bürgern so etwas aufzuzwingen, wie es bei anderen wichtigen ethischen Dilemmata der Fall wäre und in anderen Ländern üblich war, erweckten die deutschen Ethikexperten eher den Eindruck, als ob sie in einem geheimen Koalitionsausschuss mit der Regierung zusammensäßen oder gemeinsam beim Edelitaliener zu Abend speisten und die Ethik für morgen besprachen.

„Ja, die Impfpflicht ist ethisch vertretbar“, hieß es, „denn wir retten Leben!“, und man könnte fast glauben, dass die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens einzig und allein durch den staatlich verordneten Pieks garantiert wird. Dass die damit verbundene Frage nach der Autonomie des Individuums und dem Recht auf Selbstbestimmung völlig unter den gemeinsamen Tisch gefallen ist, sei nur am Rande erwähnt.

Der Ethikrat war wohl weniger ein Instrument für kritische, ethische Reflexion und mehr ein willfähriger Moralapostel. Und das Ganze schön garniert mit einer Prise „Wir machen das für das Wohl der Gemeinschaft“, ein schönes Stück Moralismus, das die Unbequemlichkeiten des individuellen Widerspruchs unter den Teppich kehrt.

Man stelle sich vor, der Ethikrat hätte das getan, was er eigentlich zu tun hätte: sich mit den Widersprüchen und Zweifeln auseinanderzusetzen.

Stattdessen hat man das Gefühl, er sei der verlängerte Arm der Politik geworden, der immer schön brav in die Richtung marschiert, in die die Regierung das Marschband ausrollte. Gibt es überhaupt noch Raum für moralische Differenzierung, wenn in jeder neuen Stellungnahme des Ethikrats die Regierungsmaßnahmen abgezeichnet und verstrickt sind? Was ist mit der ethischen Verantwortung gegenüber der Demokratie, die vielleicht nicht nur auf das Leben an sich, sondern auch auf den Erhalt von Freiheit und Gesellschaft gerichtet ist? Alles Fehlanzeige.

Der Ethikrat hätte die kritische Aufgabe, Gesetze zu hinterfragen, die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen zu prüfen und vor allem, die moralischen Grenzen der Regierung zu erkennen. Doch stattdessen hat man oft das Gefühl, der Ethikrat sei zu einem ethischen Anwaltsbüro geworden, das vor allem die politische Agenda der Regierung unterstützt. Es war kaum zu übersehen, dass die Pandemieethik mehr und mehr in die Richtung einer pragmatischen Legitimation von staatlichem Handeln ging und das zu einem Zeitpunkt, als die Bevölkerung begann, die Langzeitfolgen dieser Maßnahmen zu hinterfragen. Ach ja, was ist mit den Langzeitfolgen? Hallooo Ethikrat – warum fragen sie nicht nach?

Nun, was bleibt? Der Ethikrat hat sich als eine Institution bewiesen, die weniger für Unabhängigkeit und mehr für politische Dienstleistung steht. Die moralische Standhaftigkeit weicht einer bequemen Kompromissfähigkeit und vermutlich auch unterstützt von dem Streben nach Prestige, Auszeichnungen und „Aufwandsentschädigungen“. Und die Bürger? Nun, wir können uns fragen, ob wir noch die echte ethische Reflexion oder nur noch den moralischen Anstrich einer politischen Entscheidung erhalten haben.

In einer Demokratie, in der der Dialog zwischen Bürgern, Wissenschaft und Politik von entscheidender Bedeutung wäre, ist es ein Armutszeugnis, wenn der Ethikrat, anstatt den Dialog zu fördern, eher als Erfüllungsgehilfe der Regierung fungiert. Für mich hat der „Ethikrat“ seine Legitimation verloren.

So einen „ethischen“ Wegweiser braucht niemand. Wir bezahlen bereits die Regierung, da brauchen wir nicht auch noch diese Moralisten zu finanzieren. Deshalb, schaffen wir den „Ethikrat“ ab. Ein kleiner Teil Bürokratie weniger.

Andere moralische Instanzen sind sicher auch nicht schlechter.

 

@Corona, @ Ethikrat, @Ethik

Text: B. Steiner

Bild: Peggy-und-Marco-Lachmann-Anke-auf-Pixabay

Von Bavarian